Auf den Anbieter kommt es an – einen Hersteller bei Softwareauswahl systematisch bewerten
In unseren Softwareauswahl-Projekten erleben wir es regelmäßig: die Fachspezialisten, IT-Architekten und Projektmanager konzentrieren sich ausschließlich auf das neue Softwareprodukt. Dicke Spezifikationsunterlagen werden gewälzt, umfassende Testläufe gefahren und mehrtägige Demonstrations-Workshops durchgeführt. Der Hersteller des Systems? Ist anwesend und präsentiert, wird jedoch nur einer flüchtigen Prüfung unterzogen. Dabei steht dieser doch hinter der Software und ihrer Weiterentwicklung. Was bei der Bewertung eines Tool-Herstellers wichtig, zeigen wir in diesem mosaiic Impuls.
Fokus auf die (nicht-)funktionalen Anforderungen der Softwarelösung
Im Beitrag Auf den Punkt – worauf es bei einer Tool Evaluierung wirklich ankommt haben wir Ihnen bereits mehrere Schwerpunkte bei einer Softwareauswahl vorgestellt. Im Zentrum standen dabei die Anforderungen an die Software. Daher:
- Zu welchem Grad erfüllt das Produkt unsere fachliche & technische Spezifikation?
- Inwieweit kommt es internen & externen Vorschriften (Compliance, Datenschutz, ISO-Anforderungen, etc.) nach?
- In welchem Verhältnis steht der Return on Investment zu den finanziellen & zeitlichen Aufwänden für Projekte und Betrieb der Software?
Verfügbare Lösungen gegen die Anforderungen zu spiegeln kostet Zeit. In einem ersten Schritt fixieren Sie die Systemziele, Scope und Stakeholder. Darauf aufbauend müssen die Bewertungskriterien erhoben, dokumentiert, abgestimmt und priorisiert werden. Anschließend erkunden Sie den Raum der Lösungen und entscheiden sich schließlich für einen Tool-Kandidaten. Während des gesamten Prozesses steht die Software im Vordergrund. Aus unserer Sicht ist das ein Fehler.
Den Hersteller bei der Softwareauswahl berücksichtigen
Neben dem Tool, sollten Sie ebenfalls den Hersteller einer genauen Untersuchung unterziehen. Der Tool-Hersteller ist der Entwickler der Software. Er wartet diese und ist ebenfalls für die Weiterentwicklung seines Produktes zuständig. Im Gegensatz dazu ist der Tool-Anbieter der Verkäufer der Software bzw. der Softwarelizenz. Je nach Vertrag kann ein Anbieter auch für die Betreuung und den Betrieb der Software verantwortlich sein. Zwecks besserer Lesbarkeit verwenden wir beide Begriffe nachfolgend als Synonym.
Angelehnt an die Pyramide der Wertelemente von Bain & Company (siehe Harvard Business Manager 07/2018 – Eric Almquist et al.: Was B2B-Produkte wertvoll macht), gilt es die Ebene der Geschäftsbeziehung genauer zu beleuchten. Folgende Herstellereigenschaften stehen dabei im Fokus (siehe auch Abbildung):
Eigenschaftsgruppe 1: Unternehmen
Stabilität
- Wie lange ist der Anbieter bereits am Markt?
- Welche Gesellschaftsform besitzt er?
- Welche Eigentümer- bzw. Shareholder-Struktur zeichnen ihn aus?
Marktwert
- Welche Größe (Mitarbeiter, Standorte, etc.) und Kapitalisierung (Umsatz, Gewinn, etc.) hat der Tool-Hersteller?
- Welchen Ruf besitzt er für das Produkt (Marktanteil, Empfehlungen, etc.)?
- Wie groß ist das Volumen an Neu- und Bestandskunden (inkl. Installationen)?
Kulturelle Übereinstimmung
- Welche Unternehmenswerte vertritt der Tool-Hersteller nach außen?
- Aus welcher Zeitzone heraus operieren seine Entwicklungs-, Wartungs- und Vertriebs-abteilungen?
- Zu welchen Kreisen (Kultur, Land, Branche, etc.) gehören seine Referenzkunden?
Eigenschaftsgruppe 2: Entwicklungspotential
Reichweite
- Welche geographische Präsenz besitzt der Anbieter (Deutschland, Europa, Welt)?
- Inwieweit ist seine Technologie in Webforen, Büchern, Wissenschaft, etc. vertreten?
- Über welches Partnernetzwerk verfügt er (Verbände, Universitäten, komplementäre Firmen, etc.)?
Innovationskraft
- Welche Zukunftsvision und Roadmap führt der Hersteller für sein Produkt an?
- Auf welche Weise berücksichtigt er soziale, politische, wirtschaftliche und technologische Trends in den Entwicklungsprozessen?
- Wie fokussiert ist er auf die Weiterentwicklung des Produkts?
Risikomanagement
- Welche Maßnahmen hat der Anbieter für interne technischen und personellen Risiken aufgesetzt?
- Zu welchen Zulieferern und Dienstleistern besteht für ihn ein Abhängigkeitsverhältnis?
- Inwieweit betrachtet er Markt-, Gesetzes- und Wettbewerbsentwicklungen aktiv?
Eigenschaftsgruppe 3: Zusammenarbeit
Fachwissen
- Wie fachlich beschlagen ist der Softwareanbieter (Mitarbeiterkompetenz, Zertifizierungen, etc.)?
- Zu welchem Grad kennt er Ihre Domäne und das entsprechende Fachvokabular?
- Auf welche Referenzprojekte mit ähnlichen inhaltlichen Bezug kann er verweisen?
Reaktionsgeschwindigkeit
- Wie schnell reagiert der Softwareanbieter auf Ihre Anfragen?
- Welche Prozesse für neue Anforderungen bzgl. Software und Service existieren?
- Inwieweit ist das Pilotieren einer Prototypensoftware möglich?
Selbstverpflichtung
- Welchen Stellenwert nimmt Ihre Anfrage im Portfolio des Herstellers ein?
- Welche Flexibilität legt er bei Terminvereinbarungen an den Tag?
- Wie reagiert er auf Anfrage nach weiterführenden Material und Expertengesprächen?
Jede Softwareauswahl besitzt bzgl. des Tool-Herstellers andere Schwerpunkte, abhängig vom Werkzeug, den Nutzern sowie dem strategischen Stellenwert für das Unternehmen. Fordert beispielsweise eine Bank für ihr Kernsystem bzw. ein Automobilhersteller für seine Stücklistenapplikation bei allen Herstellereigenschaften eine hohe Bewertung, reichem dem einzelnen Expertennutzer für ein Solo-Schreibtisch-Visualisierungstool nur dessen Funktionsumfang.
Wägen Sie daher im Vorfeld ab, welche Anbieteraspekte für die von Ihnen einzusetzende Softwarelösung bestimmend sind. Und durchleuchten Sie anschließend gezielt das Geschäftsmodell des Herstellers.
Quellen für die Herstellerrecherche
Die Unternehmenswebseite und der Workshop sind aufschlussreiche, jedoch nicht die einzigen Informationsquellen, um sich über einen Tool-Hersteller zu kundig zu machen. Ebenfalls helfen Ihnen folgende Quellen, ein Gefühl für das Unternehmen ‚hinter der Software’ zu bekommen:
- Wirtschaftsauskunfteien (z.B. Creditreform, Bisnode, Bürgel, Schufa, Bundesanzeiger)
- Messeauftritte, Webinare und Abendveranstaltungen
- Pressemeldungen und Zeitschriftenbeiträge
- Empfehlungen von Personen gleicher oder verwandter Branche und/oder Einsatzgebiete
- Firmenportraits aus Softwarekatalogen (z.B. Softguide, SoftSelect)
- Jobbörsen und Arbeitgeberportale (z.B. Monster.de, StepStone, kununu)
Achten Sie bei Empfehlungen auf Vergleichbarkeit. Auch wenn das Referenzunternehmen aus Ihrer Branche kommt und ähnliche Produkte bzw. Dienstleistung wie Sie anbietet, können sich die internen Geschäftsprozesse und damit die Anforderungen an eine Tool-Unterstützung sehr unterscheiden. In welchem Bereich wird die Software eingesetzt? Seit wann? Und unter welchen Bedingungen? Vergleichen ist gut – aber nur zwischen Äpfeln und Äpfeln.
Fazit
Der Hersteller einer Software ist Teil seiner angebotenen Lösung. Heute verkauft er Ihnen den aktuellen Stand, morgen wird er diese entlang Ihrer (neuen) Anforderungen weiterentwickeln. Ob Updates, Upgrades, Trainings, Support-Anfragen oder andere nachgelagerte Dienstleistungen – nach der Softwareauswahl schmiedet Sie ein enges Band an den Tool-Hersteller. Beziehen Sie den Anbieter daher bei der Entscheidung mit in Ihre Betrachtungen mit ein.
Wir hoffen, unsere Fragen unterstützen Sie bei einer strukturierten Beurteilung. Wir beraten Sie auch gerne direkt – schreiben Sie uns!
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